- Juli 2024
- FVM News
Zertifikate: Teufelszeug für Anleger?
Discount, Bonus, Hebel - die Spielarten von Finanzzertifikaten sind vielfältig. Für den durchschnittlichen Anleger sind diese Investmentvehikel eher nicht geeignet. Unter ganz bestimmten Bedingungen können sie aber helfen, Marktschwankungen abzudämpfen.
Kolumne von FVM-Geschäftsführer Claus Walter
Es gibt eine wichtige Grundregel für Anleger: Investiere nur in Sachen, die Du wirklich verstehst. Anfang des Jahres machte ein Fall Schlagzeilen, der einem die Bedeutung dieser Regel vor Augen führte. Einer über 90-jährigen Rentnerin wurde in der Nullzinsphase vor zwei Jahren von ihrer Hausbank ein Zertifikat empfohlen. Das strukturierte Wertpapier schien eine gute Lösung für das Ersparte zu sein. Es versprach garantierte 2,3 Prozent Zinsen bei sehr geringem Risiko, denn am Ende würden auf jeden Fall 100 Prozent des eingezahlten Geldes auch wieder ausgezahlt. Trotzdem verkaufte die betagte Dame vor ein paar Monaten dieses Zertifikat mit rund 50 Prozent Verlust.
Was ihr wahrscheinlich nicht bewusst war: Die Zinsgarantie galt nur die ersten zwei Jahre, danach war der mögliche Ertrag gegenläufig an die Entwicklung des „Euribor" gekoppelt. Das ist der Referenzzinssatz - unter Profis durchaus bekannt, den meisten Laien aber wahrscheinlich nicht -, zu dem sich Banken untereinander Geld leihen. Im Prinzip war das eine Wette darauf, dass die Zinsen noch lange niedrig bleiben würden, aber die ging daneben: Die jährlichen Zahlungen des Zertifikats sanken auf null. Nicht gut, aber eigentlich ja auch noch kein Drama, denn die Auszahlung des investierten Geldes war ja garantiert. Doch die 90-jährige hatte wohl noch eine Sache übersehen: Die Laufzeit des Zertifikats betrug 20 Jahre. Das heißt, statistisch betrachtet wird sie die 100 Prozent Auszahlung wahrscheinlich nicht mehr erleben. Um doch noch etwas von ihrem Ersparten zu haben, verkaufte sie am Ende lieber mit Verlust. Also generell Finger weg von Zertifikaten?
Vorsicht bei strukturierten Wertpapieren
Der Markt für Zertifikate schwillt laut dem Bundesverband für strukturierte Wertpapiere derzeit an und hat sich in den vergangenen zwei Jahren auf 121,1 Milliarden Euro (Stand März 2024) fast verdoppelt. Zu den größten Anbietern gehören Unternehmen aus den Konzernen der bekannten Hausbanken um die Ecke. Wird so etwas Privatanlegern angeboten, sollten sie tatsächlich lieber ein Bogen darum machen und Direktinvestments bevorzugen. Das Problem fängt schon damit an, dass es bei Zertifikaten ein Emittentenrisiko gibt. Das bedeutet: Wenn die herausgebende Bank pleitegeht, ist das angelegte Geld in der Regel weg. Bei einem Investmentfonds gilt das angelegte Geld dagegen als Sondervermögen. Das heißt, auch bei einer Anbieterpleite gehören die Aktien in einem Fonds weiter dem Anleger. Zusätzlich sind die Emittenten bei der Konstruktion der strukturierten Produkte relativ frei. Es gibt zum Beispiel Varianten mit Bonus, Discount, Sprint, Hebel, Reverse, Turbo, Knack-Out und so weiter. Jede dieser Varianten kann in einer bestimmten Situation unter ganz bestimmten Voraussetzungen durchaus Vorteile bringen. Aber kaufen sollte man so etwas nur, wenn man die Feinheiten im Produktprospekt verstanden hat. Und selbst dann kann bei unerwarteten Marktreaktionen aus einer Zertifikatechance schnell ein dickes Minus werden bis zum Totalschaden. Kurz gesagt: Wer langfristig Vermögen aufbauen will, braucht keine Zertifikate.
Bewusster Einsatz als Versicherung
An sich sind strukturierte Wertpapiere indes nichts Verwerfliches. Sie können zum Beispiel genutzt werden, um Investments in schwer zugängliche Märkte zu ermöglichen. Auch in Seitwärtsphasen ermöglichen sie Profis, Rendite zu erzielen, wenn die Kurse an der Börse nicht vom Fleck kommen. Wir als Vermögensverwalter verzichten dennoch darauf, strukturierte Wertpapiere zu nutzen. Sie sind für unsere langfristig orientierte Strategie nicht nötig. In speziellen Situationen kaufen wir lediglich Optionen der zur Deutschen Börse Gruppe gehörenden EUREX als eine Art Versicherung gegen Kursschwankungen in unseren Fonds. Zum Beispiel haben wir, kurz bevor 2020 die Kurse im Zuge der Coronapandemie um 35 Prozent abstürzten, die vorher gute Börsenperformance über diese Optionen teilweise abgesichert. Das hat die Quote der durch Schwankungen am Aktienmarkt direkt betroffenen Werte in unserer ausgewogenen Strategie auf durchschnittlich 25 Prozent reduziert. Oder anders gesagt: Unseren Kunden blieben so 10 Prozentpunkte Kursschwankungen im Vergleich zum Markt erspart. Die direkten Investments, etwa in Aktien von gut aufgestellten Unternehmen oder solide Staatsanleihen, sind aber die entscheidende Basis unserer auf langfristigen Erfolg ausgerichteten Strategie. Das dürfte auch für Privatanleger der bessere Weg und unterm Strich viel erfolgversprechendere Weg sein, als auf hochkomplexe Zertifikate zu setzen, die kaum jemand versteht.
Die PDF wurde uns vom regionalen Wirtschaftsmagazin netzwerk südbaden zur Verfügung gestellt: netzwerk südbaden